Illustration zum Vergleich von angeblich automatischer Barrierefreiheit und echter Barrierefreiheit. Die automatische Seite wurde nur mit einem Pflaster versehen.

Barrierefreiheit per Plugin? Warum Sie auf menschliche Expertise setzen sollten

· 7 Min. Lesezeit

Was sind Accessibility Overlays?

Accessibility Overlays sind JavaScript-basierte Tools, die als vermeintlich einfache Lösung für Website-Barrierefreiheit beworben werden. Sie versprechen Websites mit nur wenigen Zeilen Code in Windeseile zugänglich zu machen und dabei soll es ganz egal sein, welchen Ist-Zustand Ihre Website aktuell hat.

Typischerweise erscheinen sie als kleine Widgets oder Buttons am Bildschirmrand, oft gekennzeichnet durch ein Rollstuhl-Symbol oder eine menschliche Figur. Mit einem Klick öffnet sich ein Menü, das verschiedene Anpassungsoptionen bietet: größere Schrift, erhöhte Kontraste, Vorlesefunktionen oder die Möglichkeit, Animationen zu stoppen. Was auf den ersten Blick wie eine clevere technische Lösung aussieht, entpuppt sich jedoch bei genauerer Betrachtung als völlig falscher Ansatz mit erheblichen Risiken für Website-Betreiber.

Die Versprechen der Overlay-Anbieter

Die Overlays lassen sich einfach zu jeder Website hinzufügen, die Installation ist binnen Minuten erledigt, der Aufwand ist minimal. Soweit dürften die Versprechen tatsächlich korrekt sein.

Problematisch wird es bei den weitergehenden Behauptungen: "Einhaltung der rechtlichen Vorgaben gemäß WCAG 2.2", Schutz vor Klagen und Abmahnungen, perfekte Zugänglichkeit für alle Nutzer - solche Werbeaussagen treffen den Nerv gestresster Unternehmer, die sich mit komplexen Anforderungen durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) oder die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV) konfrontiert sehen.

50 Euro monatlich (der Einstiegspreis vieler Overlay-Tools, manche sind gar noch günstiger für kleine Websites) klingen nach einem echten Schnäppchen wenn man die Alternative betrachtet: Eine professionelle Barrierefreiheits-Analyse mit anschließender Umsetzung - die leicht das Hundertfache kostet. Hinzu kommt der Zeitdruck: Während echte Barrierefreiheit Wochen oder Monate dauert, versprechen Overlays sofortige Compliance.

Diese Kombination aus niedrigen Kosten, schneller Umsetzung und scheinbarer Rechtssicherheit macht die Angebote für viele Unternehmen unwiderstehlich.

Warum Overlays versagen

Accessibility-Overlays setzen auf nachträgliche JavaScript-Manipulationen, um sichtbare Probleme zu „reparieren". Echte Barrierefreiheit entsteht jedoch bereits bei der Konzeption – mit sauberem HTML, semantischem Markup und durchdachter Gestaltung. Ohne diese Grundlagen bleiben Overlays nur kosmetische Hilfsmittel. Die systematischen Probleme zeigen sich in drei Bereichen:

Mangelhafte technische Umsetzung

Ein typisches Beispiel ist die Tastaturnavigation: Viele Overlays versprechen Verbesserungen, liefern jedoch oft unbrauchbare Ergebnisse. Fokus-Highlights sind kaum sichtbar, die Navigationsreihenfolge springt unlogisch zwischen Elementen hin und her, und paradoxerweise ist oft das Overlay selbst per Tastatur schwer erreichbar. Ähnliche Probleme treten bei automatisch generierten Alt-Texten, Formularbeschriftungen und anderen Kernfunktionen auf.

Überflüssige Dopplung vorhandener Features

Overlays replizieren Funktionen, die bereits in Browsern und Betriebssystemen vorhanden sind: Schriftvergrößerung, Kontrastmodi, Vorlesefunktionen. Menschen mit Behinderungen nutzen längst spezialisierte, individuell konfigurierte Tools, die präziser funktionieren. Der Nachteil: Während Browser-Einstellungen dauerhaft und websiteübergreifend gelten, müssen Overlay-Einstellungen auf jeder Website neu vorgenommen werden.

Grundsätzliche Verschlechterung der Zugänglichkeit

Paradoxerweise verschlechtern Overlays oft die Zugänglichkeit: Sie konkurrieren mit assistiven Technologien, erzeugen falsche Alt-Texte, machen Text durch automatische Kontraständerungen unleserlich und schaffen zusätzliche Barrieren. Schlimmstenfalls müssen Betroffene das Overlay erst deaktivieren, bevor sie die Website nutzen können. Overlays lösen nicht die eigentlichen Probleme wie fehlende Semantik oder unlogische Navigationsstrukturen – sie überdecken sie nur oberflächlich.

Stellungnahmen von Behindertenverbänden und Experten

Die Kritik an Accessibility Overlays wird von der gesamten Barrierefreiheits-Community getragen. Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. (DBSV) stellt unmissverständlich fest: „Accessibility Overlays [sind] nach dem Stand der Technik nicht in der Lage, eine Webseite von außen und quasi auf Knopfdruck umfassend barrierefrei zu gestalten. Sie versagen insbesondere im Bereich der Zugänglichkeit für blinde Menschen."[1] Der Verband kritisiert den grundlegenden Ansatz: „Accessibility Tools versuchen, Barrierefreiheitsmängel auf Webseiten von außen und im Nachgang auszubessern. Sie setzen damit bei den Symptomen, nicht aber bei den Ursachen von Barrieren an."

Die offiziellen Überwachungsstellen des Bundes und der Länder warnen in ihrer gemeinsamen Einschätzung: „Aktuell sind Overlay-Tools nicht in der Lage, einen Webauftritt, der Barrieren aufweist, vollständig barrierefrei darzustellen. Durch den Einsatz solcher Tools können weitere Barrieren im Webauftritt entstehen."[2]

Besonders eindrucksvoll: Das internationale „Overlay Fact Sheet" wurde von über 900 Experten und Betroffenen unterzeichnet – darunter Mitarbeiter von Google, Microsoft und Apple, Mitglieder der W3C Accessible Rich Internet Applications (ARIA) und WCAG Arbeitsgruppen sowie Barrierefreiheitsexperten aus über 15 Ländern. Diese breite Koalition sendet eine eindeutige Botschaft: Overlays sind keine akzeptable Lösung für digitale Barrierefreiheit.

Rechtliche Gefahren für Websitebetreiber

Die überwältigende Ablehnung von Accessibility Overlays durch Fachverbände und Experten hat weitreichende rechtliche Konsequenzen für Websitebetreiber. Wer sich auf diese Tools verlässt, begibt sich in eine gefährliche Scheinsicherheit, die im Ernstfall keinen Bestand haben wird. Mit dem BFSG, das seit Juni 2025 greift, drohen Unternehmen empfindliche Strafen und Overlays dürften dagegen keinerlei Schutz bieten.

Wenn die offiziellen Überwachungsstellen des Bundes und der Länder explizit feststellen, dass Overlay-Tools nicht in der Lage sind, Barrierefreiheit herzustellen, wie kann ein Unternehmen dann noch behaupten, genug für die Barrrierefreiheit getan zu haben indem man ein Overlay-Plugin erworben hat?

Die öffentlich dokumentierte Expertenmeinung macht deutlich, dass der Einsatz eines Overlays keine angemessene Maßnahme zur Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen darstellen kann. Im Gegenteil: Die bewusste Entscheidung für eine als unzureichend bekannte Lösung könnte sogar als grob fahrlässig ausgelegt werden.

Datenschutz und Sicherheitsrisiko

Overlays erfassen Accessibility-Einstellungen der Nutzer – sensible Gesundheitsdaten nach DSGVO Artikel 9, die oft ohne explizite Einwilligung über externe US-Server verarbeitet werden. Nutzer müssen sich faktisch als Menschen mit Behinderung "outen" und könnten durch Cookies geräteübergreifend getrackt werden.

Websitebetreiber binden externes JavaScript ein, über das sie keine Kontrolle haben – der Code kann jederzeit geändert werden. Gleichzeitig bleiben sie für alle Datenschutzverstöße haftbar. Die vermeintlich einfache Lösung wird so zum Datenschutz-Risiko.

Der richtige Weg zur digitalen Barrierefreiheit

Echte digitale Barrierefreiheit entsteht nicht durch nachträgliche Reparaturversuche mit automatisierten Tools, sondern durch fundierte Expertise und sorgfältige Umsetzung. Idealerweise wird Barrierefreiheit von Anfang an mitgedacht – durch semantisch korrektes HTML, klare Navigationsstrukturen, aussagekräftige Alternativtexte und logisch aufgebaute Formulare. Doch auch bestehende Websites lassen sich durchaus barrierefrei machen. Dies erfordert zwar qualifizierte Experten, Zeit und entsprechende Investitionen, ist aber der einzig verlässliche Weg zu echter Zugänglichkeit.

Statt in Overlay-Abonnements sollten Unternehmen in Schulungen für ihre Teams und die Zusammenarbeit mit Barrierefreiheits-Experten investieren. Der Aufwand mag zunächst höher erscheinen als die Installation eines Plugins, doch das Ergebnis ist eine Website, die nicht nur rechtskonform und zugänglich ist, sondern auch insgesamt benutzerfreundlicher, suchmaschinenoptimierter und zukunftssicher.

Fazit und Handlungsempfehlungen

Accessibility Overlays stellen unserer Ansicht nach keine Lösung, sondern eine Gefahr dar. Die eindeutige Ablehnung durch Behindertenverbände, 900+ internationale Experten und offizielle Prüfstellen sollte alarmieren: Wer auf Overlays setzt, riskiert rechtliche Konsequenzen, finanzielle Verluste und Reputationsschäden. Die jährlichen Kosten von ca. fünfhundert bis tausenden Euro (für Enterprise Varianten für umfangreiche Websites) jährlich summieren sich über Jahre zu Beträgen, die besser in eine einmalige, professionelle Lösung investiert wären.

Klare Handlungsempfehlung: Setzen Sie auf Experten statt Plugins. Beauftragen Sie eine professionelle Barrierefreiheitsprüfung und folgen Sie den Empfehlungen der Prüfer. Mit dem seit Juni 2025 geltenden BFSG ist keine Zeit mehr für Scheinlösungen – Unternehmen müssen jetzt in echte Barrierefreiheit investieren.

Quellen und weiterführende Links

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